Köln. Als Sozialforscherin hatte ich den Auftrag
eines grossen Konzerns eine innerbetriebliche Studie durchzuführen. Anonym.
Zum Thema MUT & ERFOLG. ERFOLG als Resultat selbst gesetzter Ziele. MUT
als der engagierte Einsatz, dieses Ziel zu erreichen.
Meistens gehen wir davon aus: Jeder Mensch will
Erfolg haben. Jeder will erfolgreich sein. Aber stimmt das wirklich?
Nach dieser Untersuchung hatte ich mehr als nur
geringe Zweifel. Zwar gab es Menschen auf diesen Führungsebenen, die den
Erfolg wirklich wollten und ihn ganz strategisch anstrebten. Jedoch: Die
meisten Mitarbeiter*innen hatten ein gespaltenes Verhältnis zu dem, was wir
Erfolg nennen: Selbst ein Ziel setzen – und erreichen. Alles, was über einen
„eher normalen“ Entwicklungsweg hinaus ging, war erkennbar unerwünscht (keine
Veränderung – Veränderung macht mir Angst).
Der Eindruck, den ich hier gewinnen konnte: Menschen
haben selbst gesetzte Ziele bis zu einer bestimmten Ebene. Dies zeigt sich je
nach z.B. sozio-demografischen Merkmalen, Geographie, Bildung sowie weiterer
Einflussfaktoren (z.B. Gesundheit). Haben sie ihre Ziele bis zur
Erreichung eines bestimmten Bildungs- und Karriereabschnitts (Hauptschule,
Mittlere Reise, Abi … Habilitation/Lehre, Studium/Beruf) geschafft - und
auch bis zu einem bestimmten Ziel in der Familienplanung (Ehe, keine Kinder
oder Anzahl der Kinder) – dann sind nur selten weitere Erfolge geplant. Der
Erfolg soll gehalten und verteidigt werden. Veränderungen werden als Gefahr
angesehen. Mal von ganz allgemeinen Aussagen abgesehen wie Wünsche etwa im
Hinblick auf: Gesundheit, den Kindern soll es gut gehen, Frieden für die
Welt.
Dabei waren die Ergebnisse meiner Untersuchung schon
ein deutliches Zeichen für ein selbstbestimmtes Leben mit anvisiertem Erfolg.
Jena, Leibzig, Dresden. Hier unterrichtete ich
Kommunikation. Ich konnte erkennen, dass die Menschen im Osten schon konkrete
Vorstellungen von ihrem Leben hatten – aber in der Umsetzung eher darauf
warteten, dass etwas „passierte“. Ein Angebot kam, ein Impuls, eine Anregung.
Irgendetwas. Von aussen.
Selbstmotivation, die über das Managen des
Alltäglichen hinausging: eher selten.
Warum ist es so, dass wir nach einer bestimmten
Erfolgsebene nicht weiter gehen wollen?
Bestseller-Autorin Marianne Williamson[1] spricht in einem ihrer Bücher
von der Angst, die wir vor unserer Grösse, unserer Begabung, haben. Und von
der Konditionierung, uns als „klein sehen zu müssen“. Mit anderen Worten –
irgendwie finden es viele Menschen als schicklich, sich selbst zu verachten,
Begabung und Grösse zu unterdrücken! Und damit wollen sie dann irgendwie über
die Runden kommen. Ab dem mittleren Lebensabschnitt nur noch Routine? Ziele
nur noch im Urlaub?
Dieses Thema der mangelnden Selbstanerkennung ist
nicht neu. Hatten unsere Mütter als Teenie nicht alle diesen
Spruch im „Poesiealbum“ gelesen: „Sei wie das Veilchen im Moose, sittsam,
bescheiden und rein und nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will
sein.“? Was ist sittsam? Wer bestimmt das?
Bescheidenheit als Form der Abwesenheit von Hochmut,
ist ja ganz in Ordnung.
Bescheidenheit in Form von Selbstverleugnung ist
hingegen krank.
Und so ruft die Autorin Marianne Williamson auch
dazu auf, zu sich selbst zu stehen. Das „eigene Licht leuchten zu lassen“ –
auf dass unser Mut die anderen Menschen von ihrer Angst befreit.
Aber: Wie kann man so mutig werden, zu sich selbst
zu stehen?
Ich habe dazu meine Seminarteilnehmer*innen
angeregt, „Mutproben“ zu machen. Ich habe Mutproben schon als Kind immer
geübt – und fand die Methode wunderbar. Zum Beispiel nachts heimlich in den
Wald zu gehen – nur mit einer Taschenlampe – wohl wissend, dass es da
Wildschweine gibt.
Mit den Menschen in Leipzig habe ich zum Beispiel
über Praktika bei richtig „prickelnden“ Firmen gesprochen. Und tatsächlich
haben wir zwei Praktika bekommen – in Köln und Düsseldorf. Das war ein echtes
Abenteuer für Menschen, die soeben die Freiheit erkämpft hatten – und sich
jetzt auch irgendwie alles zutrauten. Fast alles.
Und die Menschen im Westen? Es kommt darauf an,
was sie schon können und noch erreichen wollen. Einmal war eine Ausbildung zu
einem Nachrichtensprecher bei einem kleinen Radiosender hilfreich. Ein
anderes Mal haben wir gemeinsam einen Feuerlauf gestartet.
Wir meldeten uns gemeinsam an zu einem
Feuerlauf-Seminar. Zuerst gab es ein Warming-up, gefolgt von einer
Phantasiereise. Dann gingen wir auf die Wiese und spürten bewusst das Gras
unter unseren Füssen. Ein Feuerteppich über drei Meter wurde von der
Seminarleiterin angelegt. Wir stellten uns um dieses Feuer, sangen und waren
ziemlich aufgeregt. Zumeist freudig aufgeregt. Ich sah zu wie die
Menschen über das Feuer gingen – nicht laufen! – und nichts passierte. Keine
brennende Haut. Keine Ohnmacht. Keine Panikattacke.
Als ich an der Reihe war, war ich erstaunt wie gut
es ging und wie leicht es war. Ich war so begeistert, dass ich diesen Gang
noch zwei Mal wiederholte. Keine Verletzungen an den Füssen. Keine
Brandwunden. Nichts!
Wer über das Feuer gehen kann – kann zwar noch nicht
über’s Wasser laufen. Hat aber danach den Mut, neue Dinge zu tun. Das,
was dieser Mensch schon immer tun wollte.
Für die einen ist es der Auftritt vor einem grossen
Publikum im Radio. Für andere ist es das Erlebnis in einem berühmten
Unternehmen. Andere besteigen höchste Berge. Oder melden sich mit Ende 70 zu
ihrer Promotion an. Oder machen einen Selbstverteidigungskurs. Oder gehen
über das Feuer.
Wenn wir „für uns“ sind, „zu uns“ stehen, können wir
fast alles erreichen. Ich habe eine Frau erlebt, die gerade einen
Selbstmordversuch überlebt hatte. Eine Frau, die bisher (Heim) nur
erlebt hatte, dass das Leben ein Jammertal sein kann, und die dann einen
bemerkenswerten Lebensweg hingelegt hat. Als sie erkannte, was so alles in
ihr steckt, bekam sie regelrecht Flügel.
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